„Wir werden als Mannschaft ´da sein´ – davon bin ich überzeugt“

Der „Tag des Handballs“ (7.11.2021 im PSD BANK DOME in Düsseldorf) steht in Deutschland vor der Tür und Handball-Fans allerorten dürfen sich auf drei Länderspiele vor Publikum freuen.  Keine Selbstverständlichkeit in Zeiten von Corona und steigenden Inzidenzwerten.

Schon um 12:30 Uhr empfängt die männliche U20 die Gäste aus Ungarn, gefolgt von den Partien der A-Mannschaften Deutschland – Portugal (Männer) und dem wichtigen WM-Test zwischen den DHB-Frauen und Russland.

Der Tag bietet auch die Gelegenheit, Zwischenbilanz zu ziehen vor der anstehenden Handball Weltmeisterschaft der Frauen in Spanien (2.12. – 19.12.2021).  Wo steht Bundestrainer Henk Groener mit seinem Team aktuell?

Seit 2018 lenkt der Holländer die Geschicke der Mannschaft und der Deutsche Handballbund verspricht sich ähnliche Erfolge, wie Groener sie in seinem Heimatland feiern durfte.

Unter seiner Leitung erreichte ´Team Oranje´ das Endspiel der Weltmeisterschaft 2015 und ein Jahr später das Halbfinale bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro.  Davor lagen harte Jahre konsequenter Aufbauarbeit.

Das Unentschieden im Qualifikationsspiel gegen Belarus zur Europameisterschaft 2022 vor einigen Wochen, hat die Kritik an der deutschen Mannschaft und ihrem Trainer neu entfacht.

Nach dem 10. Platz bei der EM 2018 (Frankreich), Platz 8 bei der WM 2019 (Japan) und einer verpassten Olympiaqualifikation, gefolgt von Platz 7 bei der EM in Dänemark im vergangenen Jahr, spürt man die aufkommende Ungeduld vor dem nahenden Handball-Großereignis.

Mal wird die Leistungsfähigkeit der Mannschaft hinterfragt, andere kritisieren den Führungsstil und viele vergessen, dass die Zeiten wo Deutschland Weltklassespielerinnen in seinen Reihen hatte lange vorbei sind.  Spielerinnen wie Clara Woltering oder Anja Althaus, die den Gewinn der Champions League bei europäischen Spitzenklubs mit möglich machten.

Eine neue Generation schickt sich an, an diese Erfolge anzuknüpfen.  Grijseels, Eckerle, Stolle, Bölk, Schmelzer sind die Namen, die man sich in diesem Zusammenhang u.a. merken muss.

Auch Groener’s Bilanz mit Holland verlief nicht nach geradlinigem Muster, wenn man sich an den Platzierungen der Niederlande seit seiner Amtsübernahme im Jahr 2009 orientiert.  Immer wieder gab es Rückschläge und vermeintliche Rückschritte, bevor es 2015 erstmals zu einer Silbermedaille langte.

Der Leistungsdurchbruch der deutschen Frauennationalmannschaft ist längst zu einer Frage der Zeit geworden und nicht mehr, ob selbiger überhaupt stattfinden wird.  Zeit die Henk Groener zu Verfügung stehen wird, um die Früchte seiner Arbeit zu ernten?

Welchen Stellenwert hat der „Tag des Handballs“ für Henk Groener?

HG:  „Es ist gut, dass es einen Tag gibt, an dem alle zusammenkommen.  Während dem Jahr arbeitet doch jeder im eigenen Verein oder auf der jeweiligen Ebene.  Jetzt wieder einen Tag des Handballs zu haben, wo man sich persönlich treffen kann, ist eine ganz tolle Geschichte.“

In der knappen Zeit bis zum Beginn der Weltmeisterschaft in Spanien wird Henk Groener im Spiel gegen Russland auf wichtige Spielerinnen wie Emily Bölk, Alicia Stolle (beide FTC Budapest) oder Torhüterin Dinah Eckerle (Team Esbjerg) verzichten müssen.  Gelegenheit für andere, zu zeigen, dass die Mannschaft sich auch in der Breite weiterentwickelt.

HG:  „Ich erwarte von den zu Verfügung stehenden Spielerinnen da weiterzumachen, wo wir im Oktober im Training aufgehört haben.  An der Intensität und den taktischen Maßnahmen werden wir jetzt weiterarbeiten und die neuen Spielerinnen, die in Düsseldorf dabei sind, bekommen die Chance sich zu zeigen.“

Auf dem Papier erscheint der kommende Gegner Russland als wichtiger Gradmesser, allerdings ist das derzeitige Team nicht mehr mit der Mannschaft zu vergleichen, welche in Tokio Silber gewann.  So fehlen unter anderem Weltklassespielerinnen wie Anna Vyakhireva oder Daria Dmitrieva, die derzeit beide eine Pause vom Handball einlegen.  Wie stark ist der kommende Gegner?

HG:  „Russland ist schwierig einzuschätzen, da es noch nicht ganz sicher ist, mit welcher Mannschaft sie auflaufen werden.  Die EM Qualifikationsspiele haben sie mit einer komplett anderen Mannschaft gespielt, verglichen mit der sie an den Olympischen Spielen teilgenommen haben.  Die Trainerin hat viele neue Spielerinnen eingeladen.

„Wir müssen es abwarten, aber Russland ist natürlich eine Nation, welche in der Breite im Frauenhandball sehr gut aufgestellt ist.  Die Videos ihrer EM Qualifikationsspiele (gegen die Schweiz und Litauen) haben wir gesehen. Sie werden stark spielen, aber es ist eine andere Mannschaft – wir werden es merken.

„Der russische Stil bleibt grundsätzlich erhalten und wir erwarten eine bewegliche Abwehr. Im Angriff spielen sie viel in der Kleingruppe 2-gegen-2 und versuchen durchzubrechen.  Auf alle Fälle freuen wir uns auf diesen Härtetest auf dem Weg zur WM.”

Der zum Jahresende auslaufende Vertrag von Henk Groener wurde zunächst bis Ende April 2022 verlängert.  Offensichtlich will man von Seiten des DHB die Leistung der Mannschaft bei der WM in Spanien abwarten, bevor man ein längerfristiges Engagement eingeht.

Vielen geht der Fortschritt nicht schnell genug.  Sie beklagen, dass die Mannschaft ihr Potential bei großen Turnieren bis jetzt nicht abrufen konnte.  Das enttäuschende EM-Qualifikationsspiel gegen Belarus (24:24) in Trier hat die Diskussion neu entfacht.  Kritik die Groener im Wesentlichen nicht nachvollziehen kann.

HG:  „Ich bin interessiert daran, wenn es Leute gibt die sagen, dass die Mannschaft ihr Potential  bis jetzt nicht abgerufen hat.  Was ist deren Grundlage für eine solche Behauptung?

„Wir haben eine Mannschaft im Aufbau, die langsam wächst, das sieht man – 10. Platz (EURO 2018), 8. Platz (WM 2019) 7. Platz (EURO 2020).  Die Mannschaft ist noch nicht so weit.

„Wenn wir uns anschauen bei welchen Vereinen die Spielerinnen, die bei einer EM oder WM um Medaillen kämpfen, spielen und was sie bei diesen Vereinen auf dem Niveau schon alles erlebt haben und Erfahrung gesammelt haben und wie es bei uns aussieht, dann bin ich damit überhaupt nicht einverstanden, wenn Menschen sagen, wir würden unter Wert spielen.

„Ich bin der Meinung, dass wir auf dem Weg nach oben sind und natürlich kann man immer bei jedem Turnier etwas bemängeln.

„2018 haben wir eine EM gespielt nach einem totalen Umbruch und wo elf Spielerinnen nicht mehr zur Verfügung standen.

„Dann hatten wir 2019 eine WM in Japan in einer Gruppe zusammen mit Frankreich, Dänemark, Korea, Brasilien – durchweg starke Mannschaften.  In der Hauptrunde trafen wir auf Norwegen, Holland und Serbien und dann beklagen wir uns, dass wir nicht um Medaillen spielen oder uns für Olympia qualifiziert haben.

„Als ich anfing haben alle gesagt – „ja gut Tokio wäre zu früh, aber es wäre schön sich für Paris (Olympischen Spiele 2024) wieder zu qualifizieren.“  In Japan waren wir sehr nahe dran.

„Dann kam Corona und wir haben uns fast ein ganzes Jahr nicht gesehen. Im September (2020) hatten wir eine Woche Lehrgang, wo Emily Bölk und Julia Behnke noch nicht einmal dabei waren.  Während der Vorbereitungszeit fehlte ich (Corona-bedingt), stieß im laufenden Turnier zur Mannschaft dazu und trotzdem waren wir ganz dicht am Halbfinale.

„Ich teile nicht die Meinung derjenigen, die sagen, wir spielen unter Wert.

„Diese Jahr hat sich einiges getan, gerade auch wenn man die Qualität bei den Olympischen Spiele gesehen hat oder auch in der laufenden Champions League-Saison.  Das wird sich auch auswirken.  Unsere Aufgabe ist es, den nächsten Schritt zu machen.  Wenn wir das bei dieser WM schaffen, dann wäre ich sehr zufrieden und würde auch eine stetige Entwicklung seit 2018 sehen.

„Wir kommen nicht einfach mal so ins Halbfinale, weil wir Deutschland sind oder weil wir an der Reihe sind.  Das Halbfinale muss man sich erarbeiten.

„Ich finde, das haben wir bis jetzt gemacht und ich bin auch davon überzeugt das es dieses Jahr besser werden wird.

„Zu Beginn des Jahres hatten wir wieder einen kleinen Umbruch in der Führung innerhalb der Mannschaft, aber auch das haben wir umsetzen können.  Im Oktober haben wir gut gearbeitet und ich bin der Meinung, dass wir eine vernünftige WM spielen werden.“

Derzeit scheint die Weltspitze im Frauenhandball kleiner zu werden. Frankreich und Norwegen machen den stabilsten Eindruck, während sich Russland in einem Umbruch befindet und die Niederlande auf die Rückkehr von Estavana Polman und Delaila Amega wartet.  Wie sieht Henk Groener die momentane Leistungsdichte zwischen den Nationen?

HG:  „Jedes Großturnier ist ein Gradmesser, wie stark die Länder derzeit sind.

„Holland hat seit 2015 immer das Halbfinale erreicht und eigentlich nur Medaillen geholt.  Bei der EURO 2020 gab es einen Rückschlag (6. Platz) und bei den Olympischen Spielen sind sie im Viertelfinale gegen Frankreich wirklich unter die Räder gekommen.  Aber sie hatten auch mit vielen Verletzungen und einigen Abgängen zu kämpfen.  Da ist immer die Frage, wie sich das alles auf die Leistung auswirkt.

„Über die letzten sechs bis sieben Jahren waren Norwegen und Frankreich am stabilsten, zusammen mit Holland und Russland.  Schweden war einige mal kurz dahinter, Spanien rutschte über ein gutes Turnier einmal dazwischen, waren danach aber auch wieder weg.  Bei Russland muss man jetzt abwarten, was kommt und das Gleiche gilt für Rumänien.

„All diese Umbrüche nach Olympischen Spielen eröffnen Chancen und das gilt auch für uns.  Deswegen denke ich, dass die kommende Weltmeisterschaft ein Turnier sein wird, wo wir zeigen, dass wir den nächsten Schritt gemeinsamen gehen können und machen werden.

„Sicher sind Norwegen und Frankreich nach der EURO und den Olympischen Spielen einen oder vielleicht auch mehrere Schritte allen anderen Mannschaften voraus.“

Im momentanen Kader der deutschen Nationalmannschaft zeigt insbesondere die Formkurve von Alina Grijseels steil nach oben. Die wuchtige Rückraumspielerin von Borussia Dortmund führt zurzeit die Torjägerliste in der Champions League mit 53 Treffern an.

HG:  „Ich freue mich sehr über ihre Entwicklung.  Die findet ja auch statt, weil sie jetzt viel Spielzeit bekommt.  In den letzten Jahren waren Inger Smits und Kelly Dulfer im Rückraum von Dortmund dominant.  Alina war eher im zweiten Glied und musste um ihre Spielminuten mehr kämpfen.

„Jetzt ist es für sie klar – sie ist die Nummer eins auf Rückraum Mitte und das hat sie auch wirklich gut angenommen.  Die Herausforderung in einer verletzungsgeschwächten Mannschaft in der Champions League so aufzutrumpfen, wie sie es derzeit tut, ist nicht einfach.  Ich freue mich sehr für Alina und das tut auch uns gut.

„Aber so geht es auch anderen Spielerinnen, wie zum Beispiel Amelie Berger, die letztes Jahr kaum Spielanteile in Bietigheim hatte und jetzt in Dortmund ebenfalls gut spielt.

„Für uns ist es wichtig das die Spielerinnen in der Champions League Spielzeit bekommen und ihre Entwicklung da fortsetzen können.  Emily Bölk, Alicia Stolle (FTC Budapest), Dinah Eckerle (Esbjerg) und auch Meike Schmelzer, die jetzt Rumänien spielt, sind alles Spielerinnen, deren Entwicklung mich optimistisch stimmt.

„Aber letztendlich werden wir all das bei der WM sehen.  Wir spielen in einer Vorrundengruppe mit ausschließlich Europäischen Mannschaften und das ist vielleicht etwas anderes, als wenn man stattdessen gegen die Nummer fünf aus Asien spielen muss.  Danach treffen wir auf Dänemark, Korea und wahrscheinlich Tunesien und in der Knock-Out Phase ist immer alles möglich.

„Wir werden als Mannschaft ´da sein´ – davon bin ich überzeugt!“

 

/ J. Schuetz