Die Lage der Nation: Qualifikation EURO 2022
von Sascha Staat
Ziemlich genau elf Wochen ist es her, da verloren die deutschen Frauen das Viertelfinalspiel bei der Weltmeisterschaft 2021 gegen Gastgeber Spanien. Unisono hiess es damals, dass es nicht an der Stärke des Gegners gelegen hätte, sondern vielmehr an der eigenen Leistung. Wo steht die DHB-Auswahl einige Monate später, nach den beiden Niederlagen zur EM-Qualifikation 2022. Die Niederlande erschienen eine Nummer zu groß. Oder doch nicht?
Zunächst setzte es vor eigenen Fans in Krefeld eine Niederlage, aber zwei Tage später präsentierte sich die Mannschaft von Henk Groener von einer ganz anderen Seite. Im Topsportcentrum von Rotterdam hatte die Mannschaft, acht Sekunden vor dem Ende, ein Unentschieden so gut wie in der Tasche. Zuvor hatte man einen Vorsprung von drei Treffern unnötig aus der Hand gegeben. Am Ende fehlte es an Alternativen, unter anderem weil die bei der WM so starke Meike Schmelzer nicht mit dabei sein konnte.
Mangelnde Cleverness war ein weiteres Manko in der entscheidenden Phase der Partie. “Nur weil wir mit einem Tor verloren haben? Ich finde schon, dass wir über weite Strecken das Spiel an uns gezogen haben”, entgegnete der Bundestrainer nach der Begegnung. Recht hatte er durchaus, denn seine Mädels wussten grundsätzlich zu überzeugen. Eine bessere Körpersprache und mehr Glaube an die eigenen Fähigkeiten waren im Vergleich zum ersten Spiel deutlich zu erkennen.
Aufgrund der Geschehnisse in der Ukraine und den daraus resultierenden Suspendierungen (Russland und Belarus) ist die Teilnahme an der Europameisterschaft im November quasi gesichert. “Gegen Griechenland werden wir nicht stolpern”, sagte Groener. Aber will man den oft zitierten nächsten Schritt gehen, dann sind eben Gegner wie die Niederlande der Gradmesser. In beiden Vergleichen konnte die DHB-Sieben über 90 von 120 Minuten mithalten und agierte auf Augenhöhe.
Die größten Probleme bestehen nach wie vor in der Fehleranfälligkeit in Stresssituationen, der Chancenverwertung und der fehlenden Tiefe des Kaders. Sinnbildlich dafür stand ein schwieriger Wurf von Julia Maidhof kurz vor Ende des Spiels, der den Sieg hätte sicher stellen können. “Wir hätten es vorher schaffen müssen, dass es nicht auf die letzten Sekunden ankommt”, meinte die Linkshänderin, die dennoch zufrieden war. “Wir befinden uns in einem Prozess und haben die Ziele erreicht, die wir uns für heute gesteckt haben.”
Ihre Analyse war klar, ruhig und sachlich schon wenige Minuten nach dem Schlusspfiff in Rotterdam. Dabei zeigte sich die Bietigheimerin bestens gelaunt. Das wird ihr auch niemand übel nehmen, im Gegenteil. Maidhof ist eine Frohnatur und äußerst sympathisch. An ihrem Auftritt erkennt man aber auch, dass dieses Team vielleicht ein bisschen zu freundlich ist? Mehr Emotionalität und Biss würden Groener und seinen Schützlingen auf dem Weg in ein Halbfinale sehr weiterhelfen.
“Wir haben uns von den Spielerinnen im Ausland sicherlich einen größeren Sprung erhofft”, gibt Axel Kromer derweil offen zu. Der DHB-Sportvorstand ist momentan ein gefragter Mann. Derzeit führt er die Verhandlungen mit Bundestrainer Henk Groener, dessen Vertrag verlängert werden soll. Langfristig? “Ja, natürlich”, antwortete Kromer kurz und knapp auf die Frage nach dem Wunsch der Zusammenarbeit mit dem Niederländer, der noch zögert.
Groener hätte das Thema am Samstagabend am liebsten komplett vermieden und wich gleich mehrfach aus. Dass die Spielerinnen sehr gerne mit ihm arbeiten ist bekannt und auch er hängt an dem jungen und talentierten Team. Ein Team, welches Kontinuität und Stabilität dringend gebrauchen kann, mit nötigen Anpassungen. “Irgendwann melden wir Vollzug. In die eine oder die andere Richtung.” Eine Aussage, die Platz für Interpretationen lässt, denn Überzeugung klingt anders.